Von der Gynäkologie zur Hämatologie: Terminus Durchbruch(s)blutungen jetzt auch bei Hämophilie gängig

Als ich vor vielen Jahren mit Übersetzungen im Bereich Hämophilie angefangen habe, waren Durchbruchblutungen als Übersetzung von breakthrough bleeds oder breakthrough bleeding in der Hämatologie im Deutschen fehl am Platze. Durchbruchblutungen waren ganz klar ein Terminus der Gynäkologie, ein Synonym von Spotting, und bezeichneten Blutungen aus dem Uterus außerhalb der Menstruation. Das ist auch heute noch die einzige Definition, die Wikipedia kennt (Stand April 2018).

Noch 2007 fragte eine Kollegin in der Übersetzerplattform „proz.com“ nach der Übersetzung von breakthrough bleeds und wunderte sich darüber, keinen Google-Treffer für Durchbruchblutungen im Kontext mit Hämophilie zu finden.

https://www.proz.com/kudoz/english_to_german/medical_general/1749238-breakthrough_bleed.html

Deutsche Entsprechungen waren ganz einfach Blutungen oder Blutungen zwischen Infusionen (von Faktorpräparaten) oder spontane Blutungen.

Mit modernen Präparaten für Bluterkranke und deren Berichterstattung aus internationalen klinischen Studien hat die Durchbruchblutung, einschließlich ihrer weniger häufigeren Schreibweise Durchbruchsblutung, Einzug in die hämatologische Terminologie erhalten.

Die „älteste“ Google-Fundstelle mit Datum vom 27.05.2014 stammt aus der Schweiz von der News-Website der Firma Octapharma.

Was hat dem Terminus zum „Durchbruch“ verholfen? Unreflektierte Übersetzung/Verwendung und Veröffentlichung oder echter Bedarf?

Mit der Dokumentation durch das IQWiG in einem Report vom 28.05.2015 im hämatologischen Kontext dürfte der Terminus endgültig im Bereich der Hämophilie angekommen sein.

Englischer Sprachgebrauch

Im angloamerikanischen Sprachraum lässt sich gar ein Trend zu einer Unterscheidung zwischen der gynäkologischen und hämatologischen Verwendung feststellen. Dieser ist aber nicht durchgängig, findet möglicherweise gar nicht bewusst statt und dürfte u.a. grammatische Gründe haben: So bezieht sich breakthrough bleeding laut allen gängigen Definitionen allein auf vaginale Blutungen. Im Kontext mit Hämophilie findet man überwiegend breakthrough bleeds. Ein Grund dürfte die bessere Handhabbarkeit im Plural sein, da  man bei bleeding auf Konstruktionen wie bleeding episodes ausweichen müsste, denn bleeding hat keinen Plural. Gerade bei klinischen Studien zu Hämophilie, bei denen die Anzahl dieser Blutungen von Bedeutung ist, scheint bleeds geeigneter. Oder sollte damit auch eine bewusste Abgrenzung zu vaginalen Blutungen vorgenommen werden? Durchgängig ist diese Zuordnung nicht. Man findet gelegentlich auch bleeds im gynäkologischen und bleeding im hämatologischen Kontext.

Durchbruch- oder Durchbruchsblutungen?

Weniger eindeutig als die Frage, ob der deutsche Terminus nun den „Das-sagt-man-so-Status“ erreicht hat, ist die Frage, ob das Fugen-s hier angebracht ist. Keine der bestehenden Regeln für oder gegen ein Fugen-s, die sich zum Beispiel hier finden:

http://kommunikationsabc.de/2014/04/30/dieses-verdammte-fugen-s/

scheint in diesem Fall Anwendung zu finden. Ohnehin nimmt keine diesbezügliche Untersuchung speziell die medizinische Fachsprache ins Visier.

Setzt man bei Google die beiden Schreibweisen jeweils in Anführungszeichen und ergänzt Hämophilie, bekommt man im Plural (-blutungen) ein Verhältnis von 258 : 79 für die Schreibweise ohne Fugen-s und im Singular von 383 : 41 für die Schreibweise ohne s (Stand 10.4.2018). Google selbst legt ebenfalls die Schreibweise ohne Fugen-s nahe.

In Übersetzungen und Texten muss ich mich an die Durchbruchblutungen bei Hämophilie noch gewöhnen. Dennoch ist der Kunde bei mir wie immer König. Daher sollte jedes Unternehmen bewusste Entscheidungen zu seiner Terminologie (und Schreibweise) treffen und diese dann auch einheitlich verwenden und weitergeben.